Seit Amtsantritt der Koalition aus SPD, Grünen, Linken und Volt hat der Bonner GA viel zu tun. Kein Tag vergeht, ohne dass nicht Artikel, teils wohlwollend, teils kritisch zu den desaströsen Zuständen in der Stadt erscheinen. Das allgegenwärtige Chaos betrifft primär die Verkehrspolitik, welche durch Planungsfehler und Kommunikationsdebakel geprägt sind. Die Teilsperrung des Cityrings, Sperrungen am Brassertufer bei gleichzeitigen Arbeiten am Koblenzer Tor und ein Umleitungssystem, welches sich täglich ändert, lässt auch den letzten Befürworter der beschworenen Verkehrswende verzweifeln. Aber immerhin setzt so die Stadt Bonn eines ihrer hehren Ziele um, soziale Gleichheit zu schaffen. Denn im Stau sind alle gleich, der Manager im Taxi, die Rentnerin im Bus, der Handwerker im Caddy und die ambitionierte Lastenfahrradnutzerin, die aber immerhin auf den Bürgersteig ausweichen kann, was wiederum die Mutter mit Kinderwagen wohl nicht zu schätzen weiß. Ein weiteres Ärgernis ist die systematische Reduzierung des öffentlichen Parkraums und die wenigen verbleibenden Parkmöglichkeiten werden noch durch die Kappung der Brötchentaste und horrende Gebühren unattraktiv gemacht.

Ideologie statt Pragmatismus

Was läuft da schief im Programmbüro Mobilitätswende, eine von vier neu geschaffenen und personell üppig ausgestatten neuen Stellen der Stadt? Zu befürchten ist eine toxische Mischung aus Inkompetenz und Ideologie, die das Machbare und Wünschenswerte nicht zu trennen vermag. Die Utopie der autofreien Stadt kollidiert täglich mit der verkehrspolitischen Realität. Noch hat Bonn eine attraktive Innenstadt mit einer der größten Fußgängerzonen in NRW und auch der Ausbau der Friedrichstraße muss als gelungen bezeichnet werden. Aber wie sieht es in zehn Jahren aus? Negative Beispiele gibt es schon jetzt zuhauf, besuchen Sie mal die City von Bochum: Öde, Leerstand, Resignation! Dort aber hervorgerufen durch hohe Arbeitslosigkeit, fehlende Kaufkraft und soziale Konflikte, die Bonn so (noch) nicht kennt. Bei uns wird das Geschäftsleben der City durch die Verkehrswende bestimmt. Auf die Frage, wer, wie, wohin kommt gibt die Oberbürgermeisterin immerzu dieselben Antworten; „Fahren Sie mit dem Fahrrad oder nehmen Sie den Bus“.

Dat Klübsche

In meinem Bekanntenkreis gibt es einen Klub von acht bis zehn älteren Damen, alle schon jenseits der Rente und mit dem einen oder anderen Zipperlein, die sich früher einmal im Monat in der Bonner City trafen. Dort wurde geshoppt und danach ging’s zum Abendessen in ein Restaurant. Sie fuhren mit mehreren Autos in die Innenstadt und suchten sich einen Parkplatz. Aus Alfter, Endenich oder Bad Godesberg in betagterem Alter das Fahrrad zu benutzen, kam nicht in Frage, ebenso wenig die Nutzung von Bus und Bahn oder das Parken in einer Tiefgarage. Denn um 22 Uhr ging es wieder nachhause und im Winter spät abends im Bus zu sitzen oder ein dunkles Parkhaus zu betreten, macht eben vielen Älteren schlicht und ergreifend Angst. Nach zwei Jahren Shopping-Abstinenz, bedingt durch Corona, fuhr das Klübchen im Frühling mal wieder in die City, verfuhr sich mehrmals, stand im Stau und kehrte frustriert nachhause zurück. Seitdem ist Bonn tabu, abwechselnd nach Siegburg oder Rheinbach ist jetzt die Devise. Dort gibt es nette Geschäfte, eine gute Gastronomie und ausreichend Parkplätze.

Perspektiven für den Einzelhandel

Das kleine obige Beispiel ist kein Einzelfall. Der Anteil der Rentner und Pensionäre in Bonn macht ca. 20% aus. Die Kaufkraft dieser Personengruppe ist in Bonn sehr hoch, ebenso die Affinität im Ladengeschäft und nicht online zu kaufen. 75,2 % der 20 bis 59-jährigen kaufen regelmäßig online ein, bei den über 70-jährigen sind es nur 5,9% (statista 2021). Ferner zeigte eine im GA kürzlich veröffentlichte Umfrage, dass ein Drittel weniger Menschen aus dem Rhein/Sieg-Kreis in die Bonner City zum Einkaufen kommt, als vor der Corona-Zeit. Bei diesen Zahlen sollten alle Alarmglocken angehen. Der ohnehin durch die Corona-Maßnahmen in Mitleidenschaft gezogene stationäre Einzelhandel wird durch ideologiegetriebene verkehrspolitische Maßnahmen weiter belastet. Im April brachte es Jannis Vassiliou, Vorsitzender der Einzelhandelsverbands, auf den Punkt:

„Die Verkehrspolitik der Stadt ist destruktiv und der Situation nicht förderlich. Noch immer befindet sich der Einzelhandel in einem andauernden Krisenmodus. Der Verband fordert, dass die Stadt alle Verkehrsteilnehmenden berücksichtigt. Nur so kann eine funktionierende und nachhaltige Mobilitätswende gelingen“.

Diese Sätze werden im Stadthaus wohl ungehört verhallt sein.

B. Viebach