Für unsere Wochenzeitung „Die Rote Laterne“ berichtet unser Redakteur Rudi Kasulke bereits seit der letzten Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus im September 2021 aus der Bundeshauptstadt. Er hat uns ein Interview gegeben, nachfolgend einige Auszüge:

Nach dem überlegenen Wahlsieg der Linken und dem überraschenden Scheitern der SPD an der 5%-Hürde, kann in Berlin jetzt Rot/Grün durchregiert werden. Die neue Bürgermeisterin, Christine Lompscher, erläuterte kurz nach der Wahl ihre Vorstellungen zur künftigen Wohnungspolitik: „Nachdem die Bremser der bürgerlichen Sozialdemokratie nun endlich keine Stimme im Senat mehr haben, können wir endlich unsere wohnungspolitischen Ambitionen durchsetzen. Die von mir persönlich im Herbst 2019 gemachten Vorschläge wurden vom bourgeoisen SPD-Establishment auf unerträgliche Weise verwässert, sodass in der Folge keine Wohnungsbaugesellschaft und kein privater Vermieter enteignet werden konnte. Das werden wir unverzüglich ändern“!

„Rudi, über zwei Jahre sind seit Christines programmatischer Rede vergangen, wie ist die Halbzeitbilanz, wie wohnt es sich jetzt in Berlin“?

„Ich möchte die letzten Jahre als kolossalen Erfolg bezeichnen. Die unterste Stufe des damaligen Mietendeckels lag ja bei unfassbar hohen 3,92 € pro Quadratmeter. Bedenke mal, dass in dieser Stadt mittlerweile über zwei Millionen Kreative leben und ab und zu arbeiten, wie soll bei diesen ausbeuterischen Mietpreisen denn noch genug zur Existenzsicherung bleiben? Durchschnittlich hat eine Kreativer 1.500 Euro im Monat zur Verfügung. Die work-life-balance muss doch stimmen und er/sie will ja auch nicht irgendwo leben, Reinickendorf oder Lichtenberg sind nun wirklich keine Alternative zu den Hotspots in Kreuzberg oder Friedrichshain.

„Aber der Senat hat ja auch in der Vergangenheit schon gehandelt“.

„Das stimmt. Von zwei Euro pro Quadratmeter, die im Frühjahr 2022 beschlossen wurden, steht der Senat jetzt kurz davor, das Ein-Euro-Ziel zu erreichen und das flächendeckend für alle Berliner Wohnungen!“

„Das ist zweifellos ein großer Erfolg, Rudi, aber warum drückt sich der Senat – diese kritische Frage sei erlaubt – um eine Senkung auf 0 €?“

„Es liegt eindeutig am kleineren Koalitionspartner. Viele „Grüne“ können sich wohl immer noch nicht von ihren großbürgerlichen Wurzeln lösen und meinen, den Eigentumsbegriff immer noch reaktionär interpretieren zur müssen. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass der Senat viele grüne Pläne umgesetzt hat. Berlin hat mit 600 Km² die größte Fußgängerzone der Welt, kein Verbrennungsmotor hat es seit zwei Jahren in die Umweltzone geschafft; die Reinigung des kolonialen Erbes wurde durch die Schließung der Museumsinsel und Rückgabe imperialistischer Beutekunst endlich abgeschlossen. Nach Abriss des BER entstand auf dem Gelände die größte Bio-LPG des Landes, auf über tausend Hektar werden Teltower Rüben angebaut, eine richtige Erfolgsstory. Und – das größte Projekt des Senats – Berlin ist endlich zur Welthauptstadt des Veganismus aufgestiegen. Unvergessen der „blutige Herbst 2022“ als die Eingänge der Metzgereien von den Genossen zugemauert, Steak-Häuser mit roten Farbbeuteln beworfen und die Schlachthöfe gestürmt wurden. Die Buletten- und Currywurst-Dealer müssen jetzt im Görlitzer Park ihren schmutzigen Geschäften nachgehen.

„Das sind alles Erfolgsmeldungen, Rudi, um die uns die gesamte Republik beneidet, aber kommen wir noch einmal zum „Wohnen in unserer Stadt“ zurück. Was hat sich denn nun konkret geändert“?

„Es ist das Paradies“! In der Stadt herrscht ein ständiges Kommen und Gehen, mal wohnt man/frau hier, mal dort, es wird aus- und eingezogen, manchmal auch gewaltfrei, die Stadt sprüht vor Mobilität“.

„Aber Rudi, warum tun die Leute das denn“?

„Na ja, es ist immer irgendwas kaputt, Fenster undicht, Toilette verstopft, Wasser im Keller…dann wird eben ein neues Zuhause gesucht“.

„Aber es gibt Installateure, Klempner, also Handwerker“.

„Nee, die sind jetzt weg! Die hatten irgendwie dekadent bourgeoise Vorstellungen, viel Geld verdienen zu wollen. Und da es wegen der vorausschauenden Senatspolitik keine Arbeit mehr gab, haben die meisten nach Polen, manche auch in den Westen rübergemacht.

„Weg mit Schaden, paar Jahrzehnte halten die Buden noch, Hauptsache die Spekulanten und das Makler-Geschmeiß sind weg“

„Noch nicht ganz. Der Wucherer-Pranger am Gendarmenmarkt ist wieder voll besetzt. Zwei Makler wurden dabei erwischt, wie sie einer Großfamilie aus Kasachstan eine Laube in Marzahn schwarz vermieten wollten und bei dem Versuch, einen Manager der „Deutsche Wohnen“ habhaft zu werden, hat das Bezirksamt leider nur den Hausmeister gegriffen. Dann muss der jetzt eben für seinen großkapitalistischen Herrn drei Tage am Pranger stehen.

„Jetzt noch eine letzte Frage Rudi, ich hoffe nicht, dass ich damit Deine tiefsitzende sozialistische Grundhaltung verstöre. Hat die Stadt eigentlich noch Schulden“?

„Tust Du nicht! Das wird hier locker gesehen. Zwar ist die Pro-Kopf-Verschuldung auf mittlerweile eine Viertel Million pro Einwohner gestiegen, aber genau genommen sinkt sie ständig, da jeden Tag tausende Menschen aus der ganzen Welt bei uns leben möchten, klar, bei zwei Euro den Quadratmeter. Und dann gibt’s da ja noch die Trottel aus Bayern, Baden-Württemberg und Hessen. Die kippen uns tatsächlich jedes Jahr Milliarden in unseren Haushalt. Ich glaube, das heißt Länder-Finanzausgleich oder so. Unglaublich, was müssen das für Idioten sein…

„Danke, Rudi für Deinen Bericht aus unserer großartigen Hauptstadt. Melde Dich in zwei Jahren mal wieder.

„Danke auch Dir, Genosse: Venceremos“!

Bernd Viebach